Die Walz: die Wanderjahre der Handwerkergesellen

Am Steuer unserer Fiat Professional Transporter sitzen viele Handwerker. Grund genug, um uns einmal mit der alten Tradition der „Walz“ zu beschäftigen, denen sich viele Handwerkergesellen nach Abschluss ihrer Ausbildung auch heute noch verpflichten. Was es mit dieser Tradition auf sich hat, erfährst du hier.

Die Walz – auf der Spur einer jahrhundertealten Tradition

Überliefert ist es, dass junge Handwerker seit dem 12. Jahrhundert durch das Land ziehen, um andere Regionen, kulturelle Unterschiede kennenzulernen und Lebenserfahrung zu erwerben. Aber vor allem, um neue Fertigkeiten in ihrem Fach dazuzulernen. Dabei wurde der Lehrling von seinem Meister freigesprochen und geht auf die Walz. Diese war vom 12. bis zum 18. Jahrhundert Voraussetzung für einen Gesellen, um seine Meisterprüfung zu absolvieren. Die einzelnen Zünfte regelten die Dauer und den Ablauf der Walz jedoch selbst. Es gelten aber Grundregeln der Walz, die für alle Zünfte gleich sind. 

Die Walz steht dafür immer für die Wanderjahre, bzw. die „Gesellenwanderung” und dauert in der Regel drei Jahre. Die Gesellen sollen so minimalistisch wie möglich leben und arbeiten. Wer sich auf dieser alten Wanderschaft befindet, wird als „Fremder” bezeichnet und reist heute als „schachtgebunden" (die Bezeichnung in der Handwerkervereinigung). Im Mittelalter konnte ein Handwerker nur dann ein Meister werden, wenn er die Walz absolviert hatte. Doch welche Handwerker gehen überhaupt auf die Walz? Damals wie heute sind das noch immer traditionell die Maurer, Steinmetze, Steinsetzer, Betonbauer, Zimmerer, Dachdecker, Tischler, Stuckateure, Holzbildhauer oder sogar Bäcker. Wichtig für sie alle ist jedoch, dass sie einer Zunft angehören. Die damaligen „Zünfte” kann man heute übrigens gleichsetzen mit der Handwerkerinnung. Wenn ein Wandergeselle in einer fremden Stadt ankam, musste er sich auch beim Zunft- oder Zechvater seines Handwerks vorstellen. Falls er keine Arbeit fand, bekam er ein sogenanntes „Zehrgeld” und setzt seine Wanderschaft fort.

Die Walz im Wandel

Die Zahl derer, die auf die Walz gingen, unterlag beständig großen Schwankungen. Anfang des 20. Jahrhunderts lag diese Zahl noch im vierstelligen Bereich. Während der Weltkriege ging sie jedoch stark zurück, da viele junge Männer zum Militär eingezogen wurden. Auch mit dem wachsenden Wohlstand in der wirtschaftlich aufstrebenden BRD war die Motivation, für drei Jahre auf die Straße zu gehen und große Entbehrungen in Kauf zu nehmen dementsprechend gering. Erst im Verlauf der 80er Jahre lebte die alte Tradition wieder auf und mehr und mehr Handwerker gingen wieder auf die Walz.

Die gesellschaftlichen Strömungen nach alternativen Lebensweisen, einer Entschleunigung und Rückbesinnung zu einer natürlichen Lebensweise sowie die Emanzipation der Frauen prägten die Walz in den letzten Jahrzehnten. Zudem wurden zwei neue Handwerkervereinigungen –„Schächte" – gegründet, die auch Frauen zuließen. Ihre Strukturen weichen dabei stark von den alten Traditionsschächten ab.  

Die fünf größten Schächte in Deutschland:

  • „Die Rechtschaffenen Fremden” für die Handwerksberufe rund um Metall, Stein, Mineralien und Holz. Es werden jedoch ausnahmslos Männer aufgenommen.
  • „Die Rolandsbrüder” nehmen nur männliche, schuldenfreie und unverheiratete Zimmerer, Maurer, Tischler, Steinmetze, Dachdecker, Steinsetzer, Betonbauer und Holzbildhauer bis zum Ende ihres 27. Lebensjahres auf. Außerdem dürfen sich die Reisenden für die Dauer ihrer Walz ihrem Heimatort nicht weiter als 60 Kilometer nähern.
  • „Der Fremde Freiheitsschacht” nimmt nur männliche Bauhandwerker auf, die sich verpflichten ihren Heimatort bis auf 50 Kilometer zu meiden. Außerdem dürfen sie weder verheiratet sein, noch Schulden oder Kinder haben. Ein Gesellenbrief ist darüber hinaus Grundvoraussetzung – ebenso wie die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft.
  • „Der Freie Begegnungsschacht” wurde erst 1986 gegründet. Hier werden einheimische Handwerksgesellen mit abgeschlossener Gesellenausbildung aufgenommen. Außerdem dürfen hier Frauen wie Männer gemeinsam reisen. Vom Huf-, über den Goldschmied bis hin zum Konditor – hier wird jedes traditionelle Handwerk aufgenommen.
  • Bei den „Freien Voigtländern” reisen Zimmerleute, Maurer, Dachdecker, Steinmetze und Bautischler. Die Bedingungen sind: Besitz eines Gesellenbriefes, ledig, schuldenfrei sowie Mitglied in der Gewerkschaft.

Seit 2015 gilt die Walz übrigens als Kulturerbe der UNESCO. Heute gibt es wieder ca. 450 Wandergesellen und Gesellinnen deutschlandweit.

Rituale und Regeln der Walz

Die Walz wird seit jeher von alten Ritualen und Traditionen bestimmt und die wenigsten davon wurden der modernen Zeit angepasst.

Wandergesellen und Gesellinnen müssen in der Regel ledig, kinderlos, schuldenfrei und unter 30 Jahre alt sein. Außerdem müssen sie die Gesellenprüfung bestanden haben – all das sind Grundvoraussetzungen. Wer denkt, dass ein Handwerker einfach mal so in einer fremden Stadt anfangen darf zu arbeiten, liegt ebenfalls falsch. Er oder sie muss immer „vorsprechen” und zwar beim dortigen Bürgermeister. Der Inhalt dieser Gespräche ist allerdings eines der größten Geheimnisse der Schächte und wird nur von Geselle zu Geselle weitergegeben. Der Grund für diese Geheimhaltung ist die besondere Behandlung, die denen vorbehalten ist, die auf der Walz sind. Somit möchte man Missbrauch vorbeugen. Meistens folgt nach dem Gespräch mit dem örtlichen Bürgermeister die Vorsprache beim Zunft- oder Zechvater.

Weitere Regeln der Walz sind u.a. der „Bannkreis”. Damit ist ein Radius von 50 bis 60 km gemeint, dem sich der Fremde seinem Wohnort nicht nähern darf – auch nicht an Weihnachten. Es gibt nur Ausnahmen bei extremen Ereignissen, wie Tod oder Krankheit im Familienkreis. Daneben ist es dem Fremden verboten, ein eigenes Fahrzeug zu besitzen. Er oder sie darf sich nur zu Fuß oder per Anhalter fortbewegen. Der Kontakt zur Familie darf jedoch über Internet und Telefon gehalten werden. 

Um den sozialen Kontakt untereinander nicht zu verlieren, gibt es für die Wandergesellen den sogenannten „Rundschnack”. Damit sind die Zusammenkünfte der Gesellen in Wirtshäusern gemeint, bei denen alle aus einem Krug trinken, sich „Schnacks” (Geschichten und Neuigkeiten) erzählen und gemeinsam Singen.

Die typische Kluft auf der Walz

Zunächst ähneln sich die Maurer, Zimmerer oder Bäcker, doch es gibt einige Details, die ihre Zugehörigkeit verraten. Sie alle tragen z.B. die „Ehrbarkeit“, die wie eine Art Krawatte aussieht, jedoch für die Zunft steht und den Gesellen an seine Handwerkerehre erinnern soll. Die Handwerkerehre beinhaltet Tugenden wie qualitätsvolle Arbeit, Zuverlässigkeit und Vertrauen, Fleiß, Beständigkeit sowie Hingabe und Treue in der Ausübung des eigenen Handwerks.

Wie sich die traditionelle Kluft zusammensetzt, zeigen wir dir am Beispiel eines Zimmermanns. Doch ganz gleich, welche Kluft, es ist die Pflicht eines jeden Gesellen diese sauber und gepflegt zu halten.

Das Zubehör und die Kleidung eines Zimmermanns auf der Walz:

  • Der Hut: Vom Schlapphut, über einen Zylinder bis zur Melone ist alles erlaubt. Durch den Hut wird der Geselle als „frei” gekennzeichnet.
  • Die Staude: ein kragenloses, weißes Hemd.
  • Die Samt- oder Manchesterweste: Diese trägt man über dem Hemd und ist mit acht Perlmuttknöpfen besetzt. Die Knöpfe selbst sind in Form eines „Z“ angenäht und stehen für die acht Stunden Arbeit am Tag.
  • Die Ehrbarkeit: Sie ist in unterschiedlichen Farben gehalten, die für die Zugehörigkeit der Schächte stehen – schwarz bei den Rechtschaffenen Fremden, blau bei den Rolandsbrüdern, rot bei den Fremden Freiheitsbrüdern und grau bei den Gesellen des freien Begegnungsschachtes. Ihre Gemeinsamkeit ist, dass die Ehrbarkeit mit einer goldenen Nadel mit dem Handwerkswappen des jeweiligen Schachtes am Hemd befestigt wird.
  • Die Jacke: Auch sie besteht aus Samt oder Manchester und ist mit sechs Knöpfen besetzt.
  • Die Hose: Sie muss einen Schlag von 65 Zentimetern am Hosenbein haben und besteht ebenfalls aus Samt- oder Manchesterstoff.
  • Schwarze Schuhe oder Stiefel.
  • Der Ohrring: Er wird am linken Ohr getragen und zeigt das Handwerkswappen. Früher war er aus purem Gold, heute ist er in der Regel vergoldet. Der Ohrring diente vor vielen Hundert Jahren dazu, beim Tod des Handwerkergesellen das eigene Begräbnis zu bezahlen oder etwa Schulden begleichen zu können. Damit stellt der Ohrring eine Art Notgroschen oder Sicherheit da. Darüber hinaus hatte er noch die Funktion einer Bestrafung, falls sich der Handwerkergeselle nämlich schändlich benommen hatte, wurde ihm der Ohrring vom Meister herausgerissen.
  • Die Zunftuhrkette: An ihr befinden sich die Wappen der Städte, in denen der Geselle bereits gearbeitet hat.
  • Der Charlottenburger: ein verziertes, buntes Tuch, ca. 80 x 80 Zentimeter groß. Der Geselle wickelt darin sein gesamtes Gepäck ein und dreht es zu einer Wurst zusammen. Diese Wickeltechnik wird dem Gesellen im Vorfeld der Walz beigebracht. Im Charlottenburger findet man Wechselwäsche, Zahnbürste und natürlich – das Werkzeug des Handwerkers.
  • Zu den weiteren Reiseutensilien zählen der Stenz – der Wanderstab, den viele tragen und das Wanderbuch. Früher diente es dem Gesellen als Reisepass, mit dem er sich als „Fremder“ bei Behörden ausweisen konnte. Heute dient es mehr dem Zweck eines Reisetagebuchs, um all die Erlebnisse seiner Wanderschaft festzuhalten.  

Zusammenfassung:

Die Walz galt lange als Voraussetzung zur Meisterprüfung und war doch einige Generationen lang kaum attraktiv, denn sie ist alles andere als ein lockerer Wandertrip – bis heute nicht. Sie beruht auf Jahrhunderte alten Ritualen und Traditionen, die vor allem für Männer galten. Erst seit den späten 80er Jahren konnten auch Frauen auf die Walz gehen. Die Walz – damals wie heute – ist in der Regel eine dreijährige Reise, um sein Handwerk zu verfeinern, seinen Horizont zu erweitern und seinen Platz im Leben einzunehmen. 

Vieles mag altmodisch klingen, aber mit den altertümlichen Regeln und der Entschleunigung der Walz, kommt für viele junge Leute auch die Rückbesinnung auf Werte, die längst verloren schienen: Ehrlichkeit, Fleiß, Anstand und Stolz. Handwerker sind nach wie vor ausschlaggebend für die deutsche Wirtschaft und wo auch immer ein Haus gebaut wird, findet sich mit Sicherheit der ein oder andere „Fremde” wieder, der nicht nur an einem Haus arbeitet, sondern vielmehr für die Zukunft unseres Landes.

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